5.4 Untersuchungsfragen und Untersuchungsergebnisse

5.4 Untersuchungsfragen und Untersuchungsergebnisse

Mit der vorliegenden empirischen Studie wird die Wirkung kartographischer Vorlagenmuster auf elementare Wahrnehmungsprozesse untersucht. Untersucht wird die Wirkung kartographischer Vorlagenmuster auf elementare Wahrnehmungsprozesse.
Untersuchungsvariablen sind die Komplexität von Vorlagenmuster sowie verschiedene graphische und geometrische Merkmale von Zeichen-Musterrelationen, die aufgrund der Vorgabe von Fragestellungen als visuelle Reizszenarien verarbeitet werden sollen. Als abhängige Variabel wird der o. g. Faktor Wahrnehmungsleistung, der aus Wahrnehmungssicherheit und Wahrnehmungsdauer gebildet wird, ermittelt. Er soll Aussagen über den Grad der Wirkung auf die untersuchten Wahrnehmungsprozesse ermöglichen. Untersuchungsvariablen:
– Komplexität von Vorlagenmustern,
– Merkmale von umgebenden Zeichemustern,
– Aufgaben, Verarbeitungsprozesse
Im Rahmen von 6 Untersuchungen mit jeweils drei Stufen der Hintergrundkomplexität in Vorlagen werden folgende Problembereiche unterschieden: Sechs Untersuchungsfragen mit drei Stufen Hintergrundkomplexität
  • A. Unterscheidung und Selektion von Figurationsformen; Schwellenwerte der Reizunterscheidung bei geometrischen Grundformen: Kreis, Quadrat, Dreieck etc. mit unterschiedlichen Häufungsdistanzen;
    Aufgabe: Identifizierung von vorgegebenen Figurationen aus einer angebotenen Menge;
  • B. Unterscheidung und Selektion von Figurationsmengen in abgegrenzten Arealen; Auswahl- und Behaltensleistungen bei unterschiedlichen Reizmengen;
    Aufgabe: Gleichzeitige Identifizierung von mehreren Figurationen aus angebotenen Figurationshäufungen;
  • C. Vergleich und Schätzen von Figurationsdistanzen; Schätzgenauigkeit bei Distanzen mit unterschiedlichen Größen, Lageausrichtungen und Umgebungsmustern;
    Aufgabe: Identifizieren von Figurationspaaren mit vorgegeben Distanzen aus einer angebotenen Menge von Figurationspaaren mit unterschiedlichen Distanzen;
  • D. Bildung von Figurationshäufungen; Grenzen der Häufungsbildung in Abhängigkeit von Figurationsdistanzen (Nähe);
    Aufgabe: Abgrenzen und Zuordnen von Elementen zu gedanklich selbst konstruierten Elementfeldern;
  • E. Unterscheidung und Selektion von Figurationsgrößen; Sicherheit bei der Bildung von Formenähnlichkeiten bei abgeleiteter Größendifferenzierung;
    Aufgabe: Identifizieren von Figurationsformen bei einer vorgegebenen Größenabstufung und daraus Selektion von Figurationen mit bestimmten Größen;
  • F. Größenvergleich zwischen Einzelfigurationen und entsprechend großen Figurationsmengen; Schätzgenauigkeit bei Größen von Figurationsflächen;
    Aufgabe: Vergleichen von Figurationshäufungen mit Einzelfigurationen und Auswahl einer entsprechenden Häufung mit geschätzter identischer Flächengröße;
Im Folgenden werden zunächst allgemeine Angaben zu den Ergebnissen der Untersuchungsserien gemacht. Danach werden als repräsentatives Beispiel zu den Fragestellungen A, B und E der theoretische und methodische Hintergrund und davon ausgehend die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen dargestellt (für die Fragestellungen und Ergebnisse C, D, F vgl. Bollmann 1981Bollmann, J. (1981): Aspekte kartographischer Zeichenwahrnehmung. Eine empirische Untersuchung. Bonn). Es werden als Beispiele die Ergebnisse zu den Fragestellungen A, B und E dargestellt.

5.4.1 Abhängigkeit der Wahrnehmungsleistungen vom Umgebungsreiz

Sämtliche Untersuchungsvorlagen wurden informationstheoretisch berechnet. Dazu wurden „repräsentative“ Ausschnitte jeder Vorlage ausgewählt und ihnen ein quadratisches Gitter zugeordnet. Die Ausschnitte besitzen ein Format von 4o x 4o Elementarzeichen. Die Größe der Elementarzeichen beträgt o.4 mm, das heißt, dass die Elemente des Quadratgitters in der Originalgröße der Kartenvorlage eine Weite von o.4 mm aufweisen. Insgesamt wurden 18 Untersuchungsvorlagen  informationstheoretisch berechnet.

Tab.54.1 Superzeichenentropie und Wahrnehmungsleistungen (WL)

Die Komplexität der Vorlagen wurde vorab visuell ermittelt und erst nach ihrer technischen Fertigstellung berechnet (vgl. die Abbildungen für Vorlagen 1 bis 3 von A, B und E). Die Werte für die Superzeichen-Entropie zeigen, dass bei den Vorlagen 1, 2 und 3 keine gleichmäßige Zunahme der syntaktischen Zeichenkomplexität vorliegt. Die Schätzungen zwischen den Vorlagen 1 und 2 führten zu einer größeren Komplexitätsdifferenz als zwischen den Vorlagen 2 und 3. Im Nachhinein kann dieser Sachverhalt auch visuell durchaus bestätigt werden. Bei den Vorlagen 1, 2 und 3 jeder Fragestellung besteht kein gleichmäßiger Anstieg der syntaktischen Zeichenkomplexität.
Wie sich aus den Werten ablesen lässt, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Wahrnehmungsleistung (WL) und der Komplexität einer Kartenvorlage (vgl. Tab.54.1). Um dieses Phänomen der Komplexität von Karten noch deutlicher zeigen zu können, soll noch einmal zusammenfassend ausgeführt werden, welche Bedingungen der Wahrnehmung mit dem Vergleich der beiden Wertreihen in Tabelle 54.1 angesprochen sind: Wie aus den Kartenvorlagen der Untersuchung ersichtlich wird (vgl. die entsprechenden Abbildungen A, B, E), sind zwei unterschiedlich wirkende Reizgrößen in jeder Vorlage zu differenzieren: Zum einen die Figurationen (Kreise, Quadrate, Dreiecke etc.), die durch die verschiedenen Fragestellungen direkt angesprochen werden und als „informationstragende Zeichen“ von den Versuchspersonen selektiert werden müssen. Zum anderen die Muster, die als Kartenuntergrund oder -hintergrund fungieren, und die zwar durch die Fragestellung nicht angesprochen werden, aber als „Umgebungsreiz“ den Wahrnehmungsprozess beeinflussen. Da die lagemäßige Verteilung der informationstragenden Zeichen jeweils bei den drei Komplexitätsstufen annähernd gleich ist, ergibt sich eine vergleichbare Wahrnehmungssituation für die Lösung der Aufgabenstellungen. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Wahrnehmungsleistung (WL) und der Komplexität bei Kartenvorlagen.
Aufgrund dieser Ausgangsbedingungen lassen sich Unterschiede in den Wahrnehmungsleistungen direkt auf die Reizsituation des Kartenhintergrundes und damit auf die Komplexität der Karten zurückführen. Ohne dass hier auf die differenzierten Aussagen der unterschiedlichen Werte eingegangen werden soll (vgl. dazu Bollmann 1981Bollmann, J. (1981): Aspekte kartographischer Zeichenwahrnehmung. Eine empirische Untersuchung. Bonn), kann eine hohe Übereinstimmung zwischen ansteigender Komplexität in Karten und abnehmenden Wahrnehmungsleistungen festgestellt werden (vgl. auch die differenzierten Ausführungen in den folgenden Kapiteln). Es hat sich eine hohe Übereinstimmung zwischen ansteigender Kartenkomplexität und abnehmenden Wahrnehmungsleistungen ergeben.
Es kann vorläufig festgehalten werden, dass in Karten mit vergleichbarem optischen Angebot anscheinend bei einem bestimmten Anstieg der Zeichenkomplexität des Kartenhintergrundes ein vergleichbarer Abfall der Wahrnehmungsleistungen zu erwarten ist. Präzisiert wird diese Aussage noch dadurch, dass sich dieser Zusammenhang nicht nur auf „einfache“ Interpretationsprozesse bezieht, sondern auch auf relativ komplizierte Wahrnehmungs- und Denkoperationen, wie sie z. B. bei Fragestellung E erforderlich sind. Der Wirkungszusammenhang zwischen Komplexität und Wahrnehmungsleistungen hat sich bei „einfachen“ und „komplizierten Wahrnehmungs- und Denkoperationen, gleichermaßen gezeigt.

5.4.2 Ergebnisse der Einzeluntersuchungen

Abb. 34.5_1

Vorlage A1

Vorlage A2

Vorlage A3

Abb. 34.5_4

Informationstragende Zeichen

Abb. 54.1 Vorlagen für Untersuchungsserie A

5.4.2.1 Untersuchung A: Einzelfigurationen
Die Grundstufen der sensorischen Informationsverarbeitung umfassen die Unterscheidungsmöglichkeiten von Helligkeits-, Farb-, Größen-, Form- und Texturreizen. Für sämtliche Reiztypen stellt sich die Frage nach den Schwellenwerten der Reizunterscheidung, das heißt, wie weit sich die Reize unterscheiden müssen, damit sie vom Organismus wahrgenommen und verarbeitet werden können. Für den Helligkeits- und Farbbereich sind diese Fragen schon umfassend dargestellt worden (vgl. Kap. 2.). Für den Formenbereich liegen in dieser Hinsicht noch keine aussagekräftigen Ergebnisse vor, dass mit Sicherheit gesagt werden könnte, unter welchen Bedingungen z.B. Kreise und Kreis angenäherte Ellipsen unterscheidbar wären. Es wird vorausgesetzt, dass der optische Unterschied zwischen den ausgewählten Informationstragenden Figurationen vom Organismus wahrgenommen und verarbeitet werden können.
Figurationen bzw. Zeichen mit unterschiedlichen Formausprägungen differenzieren in Karten in der Regel Attributwerte von Objekten einer Klasse. Die Darstellung der Verteilung von Objekten im Kartenraum mit unterschiedlichen Attributwerten ist eine Grundfunktion kartographischer Abbildung und wird aus diesem Grund als erster Problemkomplex untersucht. Die gewählten Figurationen (vgl. Beispiele in Abb. 44.3) bilden den Grundkanon geometrischer Formen. Gedanklich existiert in der Regel ein Formenrepertoire, in das die Figurationen visuell und gedanklich eingeordnet sind oder daraus abgeleitet werden können. Es wird also untersucht, welche Unterscheidungsmöglichkeiten sich bei der Präsentation mehrerer Zeichenformen in der Karte ergeben und zwar unter Einbeziehung der oben formulierten Bedingungen wie Vorlagenkomplexität, Umgebungsmuster und einer zielorientierten Fragestellung. Es werden Wahrnehmungsleistungen ermittelt, die sich bei der Unterscheidung, Zuordnung und Selektion von Figurationen in Kartenvorlagen ergeben (zu den Formen der Figurationen vgl. in Abb. 54.1 die Vorlagen A1, A2 und A3). Die Verteilung von Objekten im Kartenraum mit unterschiedlichen Attributwerten ist eine Grundfunktion kartographischer Abbildung.
 

Ergebnisse zur Untersuchung A:

Die empirischen Ergebnisse der Fragestellung A zeigen relativ eindeutige Tendenzen hinsichtlich der Abstufung von Wahrnehmungsleistungen in Bezug auf die drei Kartenvorlagen (vgl. Tab. 54.2). Bei den Abweichungen zwischen den Prozentwerten der „gefundenen Zeichen“ (%gef. Z.) als Wahrnehmungssicherheit (93.21 bis 82.56%) kommt diese Tendenz noch weniger stark zum Ausdruck. Erst durch die Verbindung des Zeitfaktors (Sek.=Sekunden; „Wahrnehmungsdauer“) mit dem Faktor der Wahrnehmungssicherheit (WL) wird deutlich, welcher Unterschied z.B. zwischen den Werten A1 und A3 besteht. Es kann also mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, dass das Leistungsniveau bei der Vorlage A3 mindestens um ein Drittel niedriger liegt als bei der Vorlage A1. Das Leistungsniveau (WL) bei der Vorlage A3 liegt mindestens um ein Drittel niedriger liegt als bei der Vorlage A1.

Tab.54.2: Ergebnisse Untersuchungsserie A

Beim statistischen Vergleich der Ergebnisse (t-Test) wird das hohe Signifikanzniveau der Abweichungen besonders erkennbar. Diese Werte zeigen allerdings auch ein niedrigeres Signifikanzniveau bei den Abweichungen zwischen den Fragestellungen A2 und A3 als zwischen A1 und A2. Damit wird das entsprechende Verhältnis der Entropiewerte widergespiegelt, und zwar die größeren Unterschiede bei den A1- A2-Werten (7.17 – 8.1o bit) und die geringeren Unterschiede bei den A2- A3-Werten (8.1o – 8.36 bit). Die Unterschiede der ermittelten WL entsprechen den größeren Unterschieden bei den A1- A2-Werten und den geringeren Unterschieden bei den A2- A3-Werten.
Die Differenzen zwischen den Zeichentypen Z1, Z2 und Z3 sind jeweils für die Fragestellungen A1, A2 und A3 nicht sehr aussagekräftig, Dabei bedeuten:
  • Z1-Typ: sämtliche Zeichen sind in einem begrenzten Kartenausschnitt angeordnet;
  • Z2-Typ: jeweils die Hälfte der Zeichen sind zusammen und die andere Hälfte sind verteilt angeordnet;
  • Z3-Typ: sämtliche Zeichen sind verteilt angeordnet.
Lediglich beim Ausschnitt A3 ergibt sich eine der Erwartung entsprechende Abstufung der Mittelwerte (6.91, 6.7o, 6.2o).
Die verschiedenen Häufigkeiten der selektierten Zeichen in den Kartenvorlagen A1, A2 und A3 zeigen, dass die Lagebeziehungen zwischen den informationstragenden Zeichen und der jeweiligen Struktur des Kartenuntergrundes bei der Wahrnehmung eine große Rolle spielen. Deutlich wird dieser Sachverhalt z.B. beim Vergleich der Häufigkeiten in der Kartenvorlage A3. Die Häufigkeiten bei den Rechtecken schwanken zwischen 35 und 69, das heißt, ein Rechteck wurde nur 35-mal und ein anderes 69-mal selektiert (von 70 Möglichkeiten). Die verschiedenen Lagebeziehungen zwischen den informationstragenden Zeichen und der jeweiligen Struktur des Kartenuntergrundes haben auf die Wahrnehmung einen großen Einfluss.
Die Erklärung für diese Schwankungen werden nicht nur in der unterschiedlichen Detailkomplexität der jeweiligen Umgebungsreize zu suchen sein (vgl. dazu die Vorlagen), sondern z.B. auch in der lokalen Ausrichtung von Linienelementen, die parallel zur Zeichenrichtung verlaufen und damit die Ausprägung des Figur-Hintergrund-Reizes verringern. Diese Situation scheint sich beispielsweise bei den „auf die Spitze gestellten Quadraten“ in der Kartenvorlage A2 ausgewirkt zu haben. Die Zeichen, die besonders eng zu den parallel verlaufenden Straßen angeordnet sind, sind in der Tendenz weniger häufig selektiert worden; die Zeichen, die etwas weiter entfernt liegen, weisen dagegen größere Häufigkeiten auf. So wirkt sich wahrscheinlich die lokale Ausrichtung von Linienelementen, die parallel zur Zeichenrichtung verlaufen, auf den Wahrnehmungsprozess aus.
Im Folgenden werden als Beispiel zur Problematik der „Vorlagendarbietungen“ in empirischen Untersuchungen der Kartographie Registrierungsmethoden und einige zusammengefasste Reaktionen von Versuchspersonen vorgestellt: Methode der „Vorlagendarbietungen“ und Reaktionen von Versuchspersonen:

Abb. 34.6_1_neu

Vorlage B1

Vorlage B2

Vorlage B3

Abb. 34.5_4

Informationstragende Zeichen

Abb. 54.2 Vorlagen für Untersuchungsserie B

5.4.2.2 Untersuchung B: Figurationsmengen
Eine grundlegende Funktion von Karten besteht darin, Lagebeziehungen zwischen Objekten bzw. Zeichen zu vermitteln. Fragen können sich dabei zum einen nach den Eigenschaften von Distanzen (z.B. „Nähe“ oder „Weite“) zwischen zwei oder mehr Zeichen stellen, aber auch nach der Lage von Zeichen in abgegrenzten Arealen. Die Prozesse, die im Zusammenhang mit diesem letzteren Fragenkomplex angesprochen sind, beinhalten eine größere Anzahl unterschiedlicher Wahrnehmungsoperationen. Eine grundlegende Funktion von Karten besteht darin, Lagebeziehungen zwischen Objekten bzw. Zeichen zu vermitteln.
Für einen zielorientierten Wahrnehmungsvorgang lassen sich z.B. folgende Fragen formulieren und zwar abgestuft nach einer zunehmenden Komplexität der Merkmalverknüpfungen (Relationen) in Arealen (Areal = Gemeinde-, Kreis-, Bezirksfläche, Vegetationsfläche, Gewässerfläche u.ä.): Fragen zur Abstufung nach einer zunehmenden Komplexität von Merkmalverknüpfungen in Arealen.
  • Welche Zeichenklassen befinden sich in einem bestimmten Areal?
  • In welchem abgegrenzten Areal befinden sich Zeichen einer bestimmten Zeichenklasse?
  • In wie vielen Arealen befinden sich mehrere Zeichen einer bestimmten Zeichenklasse oder Zeichen mehrerer bestimmter Zeichenklassen?
  • In welchem Areal befinden sich die meisten (die wenigsten) Zeichen einer bestimmten Zeichenklasse bzw. mehrerer bestimmter Zeichenklassen?
Bei diesen Zuordnungsvorgängen muss keine Regionalisierung von Objekten (Figurationen) vorgenommen werden, d.h. keine visuelle bzw. gedankliche Bildung von Zeichenfeldern oder Zeichenhäufungen, die aufgrund ihrer Lage (Nähe) zueinander eine graphische Einheit bilden (vgl. dazu die „Gestaltprinzipien“ in Kap. 3.4.2.2). Wichtigste Faktoren, die die oben angedeuteten Zuordnungsvorgänge beeinflussen könnten, ergeben sich zum einen aus der Struktur, d.h. der Größe sowie der Form und Differenziertheit der Flächenbegrenzungen und zum anderen aus der Anzahl und dem „Mischungsverhältnis“ der sich in einem Areal befindenden Zeichen. Da die Größe der Areale gleichzeitig auch die maximale Anzahl der darin auftretenden Zeichen bestimmt, wird dieses Merkmal in der Untersuchung nicht berücksichtigt, d.h. durch das Angebot gleich großer Flächen in den Karten mit den drei Komplexitätsstufen konstant gehalten. Zuordnungsvorgänge ergeben sich aus der Größe sowie der Form und Differenziertheit der Flächenbegrenzungen und aus der Anzahl und dem „Mischungsverhältnis“ der sich in einem Areal befindenden Zeichen.
Der Wahrnehmungsvorgang, der in diesem zweiten Untersuchungsabschnitt analysiert wird, umfasst die klassenmäßige Isolierung von drei vorgegebenen Zeichenarten aus einem Klassenumfang von acht unterschiedlichen Zeichen und die Fixierung dieser Zeichenkombination (drei Zeichen) in den angelegten Farbflächen der Kartenvorlagen mit abgestufter Komplexität (vgl. in Abb.54.2 die Vorlagen B1, B2 und B3). Untersucht wird die klassenmäßige Isolierung von drei vorgegebenen Zeichenarten aus einem Klassenumfang von acht unterschiedlichen Zeichen.
Als weitere Untersuchungsbedingungen werden sechs verschiedene Zeichenkombinationen berücksichtigt, die jeweils in einem Areal auftreten können: Es werden sechs verschiedene Zeichenkombinationen berücksichtigt:
  • 3 bis 6 Zeichen aus drei Zeichenklassen
  • 3 Zeichen aus drei Zeichenklassen mit 3 anderen Zeichen
  • 3 Zeichen aus drei Zeichenklassen und 6 anderen Zeichen
 

Ergebnisse zur Untersuchung B:

Die Flächenstrukturen der Vorlagen B1, B2 und B3 sind hinsichtlich der Anordnung der einzelnen Flächen zueinander vergleichbar dargestellt (es wurden lediglich „Drehungen“ der Gesamtsituation der Vorlagen vorgenommen). Von der Flächensituation B1 ausgehend, sind die Flächen in den Vorlagen B2 und B3 zunehmend differenzierter dargestellt und zusätzlich unterteilt worden. Damit lassen sich, entsprechend der Situation der Fragestellung A, die Abweichungen zwischen den ermittelten Wahrnehmungsleistungen wiederum auf die Reizwirkung der drei Komplexitätsstufen zurückführen. Die Reizwirkung der drei Komplexitätsstufen spiegelt sich wiederum in den ermittelten Wahrnehmungsleistungen wider.
Aufgrund der Werte der Wahrnehmungssicherheit (% gef. Zeichen – (gef. Z).) in Tabelle 24 lässt sich der Unterschied der Reizwirkung zwischen den Vorlagen B1, B2 und B3 nicht eindeutig ablesen. Obwohl bei der Vorlage B3 rd. 15% der Zeichen und bei der Vorlage B1 nur rd. 6.5% der Zeichen nicht selektiert worden sind, wird die Größe des Unterschieds erst durch die Berücksichtigung des Zeitfaktors deutlich. Danach ist für die Vorlage B3 ein Drittel mehr Zeit aufgewendet worden als für die Vorlage B1, was sich auch aus dem deutlichen Unterschied zwischen den Werten der Wahrnehmungsleistungen ablesen lässt (WL = 24.21 und 14.5o). Entsprechend den Werten der Fragestellung A zeigt sich eine größere Differenz der Werte zwischen den Fragestellungen B1 und B2 als zwischen den Werten der Fragestellung B2 und B3. Das entspricht auch dem Komplexitätssprung der Vorlagen von 6.75 nach 8.08 und von 8.08 nach 8.59 (Superzeichen-Entropie). Es zeigt sich eine größere Differenz der Werte zwischen den Fragestellungen B1 und B2 als zwischen den Werten der Fragestellung B2 und B3.

Tab. 54.3: Ergebnisse Untersuchungsserie B (Abkürzungen siehe nächste Tabelle)

Bei den Mittelwerten der verschiedenen Zeichenkombinationen innerhalb einer Fläche ergeben sich bei der Umrechnung in Prozentwerte recht aufschlussreiche Ergebnisse (vgl. Tab. 54.3). Im Verhältnis zu sämtlichen anderen Zeichenkombinationen sind bei der Zeichenkombination 3Z0 die besten Werte erzielt worden, d.h. auch im Verhältnis zu dem Areal, in dem sechs zu interpretierende Zeichen zusammen auftreten (3Z0 = 96% und 6Z0 = 9o%; vgl. Tab. 54.4). Es scheint also, dass, ähnlich wie es für die Komplexität des Kartenuntergrundes zutrifft, die Menge von Zeichen den Wahrnehmungsprozess negativ beeinflusst. Aufgrund der erhöhten Wahrscheinlichkeit des Auftretens der 6Z0-Kombination im Kartenausschnitt hätte erwartet werden können, dass diese Kombination von den Versuchspersonen häufiger selektiert wird. Es scheint also, dass, ähnlich wie es für die Komplexität des Kartenuntergrundes zutrifft, die Menge von Zeichen den Wahrnehmungsprozess negativ beeinflusst.

Tab. 54.4 Ergebnisse bei den Zeichenkombinationen in den Arealen (%-Werte). Die Zeichenfolgen 3Z0, 3Z3, 3Z6, 4Z0, 5Z0 und 6Z0 haben folgende Bedeutung: Die vordere Ziffer steht für die Anzahl der zu selektierenden Zeichen und die hintere Ziffer gibt die Anzahl zusätzlicher Zeichen in einem Areal an

Am deutlichsten zeigte sich diese Wirkung bei den Kombinationen 3Z3 und 3Z6 in der Vorlage B3. Zusätzlich zu der hohen Komplexität des Kartenuntergrundes wirkte sich noch die Anzahl von Zeichen pro Fläche erschwerend in dem Wahrnehmungsprozess aus, so dass dadurch die Versuchspersonen nur in 73% bzw. 74% der möglichen Fälle diese Zeichenkombinationen selektieren konnten. Die Werte liegen damit noch um l0% unter dem Durchschnittswert der „gefundenen Zeichen“ (B3 = 84.8 % gef.Z.). Zusätzlich zu der hohen Komplexität des Kartenuntergrundes wirkte sich noch die Anzahl von Zeichen pro Fläche erschwerend in dem Wahrnehmungsprozess aus.
Die ermittelten Häufigkeiten der selektierten Figurationen geben keine besonders deutlichen Hinweise über bestimmte lokale Reizwirkungen des Kartenuntergrundes. Lediglich bei einigen Figurationen, die relativ weit entfernt von der Mehrzahl der anderen Zeichen in der Fläche angeordnet sind, ergeben sich Abweichungen in den Häufigkeiten, wie z.B. in der Vorlage B3 bei der Kombination 5Z0 ein Zeichen mit der Häufigkeit 51 oder bei der Kombination 4Z0 ein Zeichen mit der Häufigkeit 58. Inwieweit sich aus diesen Befunden Verallgemeinerungen ableiten lassen, kann aufgrund des spezifischen Bedingungsrahmens der Fragestellung nicht mit Sicherheit gesagt werden. Bei Figurationen, die relativ weit entfernt von der Mehrzahl der anderen Zeichen in der Fläche angeordnet sind, ergeben sich Abweichungen in den WL.

Abb. 34.7_1

Vorlage E1

Vorlage E2

Vorlage E3

Abb. 34.5_4

Informationstragende Zeichen

Abb. 54.3 Vorlagen für Untersuchungsserie E

5.4.2.3 Untersuchung E: Figurationsklassen
Die Wahrnehmung von Größenabstufung einer Zeichenklasse setzt komplizierte visuelle und gedankliche Prozesse voraus. Dem Wahrnehmenden werden die einzelnen Operationen zur Zeichenunterscheidung sicherlich kaum bewusst. In der Legende wird dieser gedankliche Vorgang dadurch erleichtert, dass die Zeichen einer Klasse meistens in systematischer Form als Reihe angeboten werden. Für den Wahrnehmungsvorgang in der Karte sind diese Bedingungen nicht gegeben. Die Wahrnehmung von Größenabstufung einer Zeichenklasse setzt komplizierte visuelle und gedankliche Prozesse voraus.
Es muss vom Wahrnehmenden eine große Anzahl von Vergleichsoperationen vorgenommen werden, damit z.B. alle Zeichenelemente einer bestimmten Zeichengröße in der Karte isoliert werden können. Wenn die zu isolierende Zeichengröße aufgrund ihrer Stellung im Klassenzusammenhang zu ermitteln ist (also z.B. die Isolierung sämtlicher Zeichen der „3. Größenstufe“), ergeben sich zusätzliche Wahrnehmungsleistungen, die hohe Ansprüche an die Selektions- und Merkfähigkeit des Wahrnehmenden stellen. Im Hinblick auf die Bedingungen der Kartenvorlage, die diese unterschiedlichen Prozesse der Klassenbildung beeinflussen, lassen sich mindestens vier Aspekte unterscheiden: Es muss eine große Anzahl von Vergleichsoperationen vorgenommen werden, damit z.B. alle Zeichenelemente einer bestimmten Zeichengröße in der Karte isoliert werden können.
  • Voraussetzung für die Klassenbildung mit Hilfe von Zeichengrößen ist die Unterscheidbarkeit von Zeichenformen (Größenkontrast). Dabei wird diese Unterscheidbarkeit durch verschiedene Merkmale einer Kartensituation beeinflusst. Wichtiges Merkmal ist die lineare Distanz (euklidische Relation zwischen Zeichenpositionen) zwischen den zu vergleichenden Zeichen. Je größer die Distanz ist, desto größer muss vermutlich der Reizunterschied zwischen den Zeichengrößen sein, um noch unterschieden werden zu können.
  • Ein zweiter Aspekt ist die Anzahl der Abstufungen von angebotenen Zeichen. Die Bestimmung der Anzahl ist abhängig von den abzubildenden Daten, von der zulässigen Spannweite der Größenabstufung (kleinstes und größtes Zeichen) und dem visuell-kognitiven Anspruch an die Zeichenstrukturierung aufgrund einer Fragestellung. Für den Wahrnehmungsverlauf ist es z.B. wesentlich, ob lediglich ein in der Legende vorbestimmtes Zeichen einer Zeichenklasse in der Karte selektiert werden muss oder ob relativ anspruchsvolle Klassenbildungen, wie sie in der Untersuchung E vorgegeben sind, vorzunehmen sind.
  • Als weiterer Aspekt wird bei der Wahrnehmung vermutlich die zu den verschiedenen Zeichenklassen gehörende Anzahl von Zeichen eine Rolle spielen. Je weniger Zeichen von jeder Zeichenabstufung in der Vorlage angeboten werden, desto schwieriger sind wahrscheinlich Vergleichsoperationen zwischen den Stufen, da diese durch längere Selektionsprozesse unterbrochen werden.
  • Der Größenkontrast zwischen informationstragenden Zeichen und den übrigen Zeichen einer Karte – als weiterer Aspekt – beeinflusst vermutlich den Wahrnehmungsprozess bei der Klassenbildung von Zeichen. Ist der Reizunterschied zwischen den verschiedenen informationstragenden Zeichen und dem umgebenden Kartenhintergrund unterschiedlich groß, werden gleiche Reize (Grauwerte, Farben, Größe), die von den informationstragenden Zeichen ausgehen, unterschiedlich aufgenommen (Größen-Simultan-Kontrast) Um diese Möglichkeit auszuschalten, müssen die Größenabstufungen innerhalb einer Zeichenklasse gegenüber einer homogeneren Situation vergrößert sein.
Mit diesen angedeuteten Problemen sollen also Wahrnehmungsleistungen bei der Klassenbildung aufgrund von Größenabstufungen ermittelt und analysiert werden. Die Isolierung sämtlicher Zeichen von zwei Größen (bei insgesamt vier Größen) muss unabhängig von einer Legendensystematik (geordnete Reihenfolge der Größen) erfolgen. Die Unterscheidbarkeit der in der Karte angelegten Klassenstufen wird vorausgesetzt (vgl. in Ab. 54.3 die Vorlagen E1, E2 und E3). Die Isolierung sämtlicher Zeichen von zwei Größen (bei insgesamt vier Größen) muss unabhängig von einer Legendensystematik erfolgen.
 

Ergebnisse zur Untersuchung E

Mit dem Problembereich E sollten Wahrnehmungsleistungen bei komplizierteren (höherstufigen) Prozessen ermitteln werden. Die empirisch ermittelten Ergebnisse der Tabelle 54.5 zeigen, dass bei der Vorlage E3 nur rd. zwei Drittel (69.7%) der dargestellten und durch die Fragestellung angesprochenen Zeichen von den Versuchspersonen ermittelt worden sind. Bei der Vorlage E1 (geringe Komplexität) sind immerhin nur noch rd. 2o% der Zeichen nicht selektioniert worden. Beim Vergleich der WL-Werte mit den Entropie-Werten wird deutlich, dass sich im Gegensatz zu den Fragestellungen A und B die Komplexität der Vorlagen weniger stark auf den Wahrnehmungsprozess auszuwirken scheint. Obwohl bei den Entropie-Werten zwischen den Vorlagen E1 und E3 ein relativ großer Unterschied besteht (E1= 5.95, E2= 8.34, E3= 8.77), ergeben sich bei den WL-Werten geringere Abweichungen.  Obwohl bei den Entropie-Werten zwischen den Vorlagen E1 und E3 ein relativ großer Unterschied besteht, ergeben sich bei den WL-Werten geringere Abweichungen.
Anscheinend erfolgen Prozesse der Klassenbildung in geringerer Abhängigkeit vom Kartenuntergrund. Das bedeutet, je weniger elementare Such- oder Vergleichsvorgänge für die Selektion der Zeichen erforderlich sind, desto weniger wirkt sich der Umgebungsreiz der Zeichen auf diesen Prozess aus. Eine solche Vermutung muss allerdings mit großer Vorsicht behandelt werden, da mit den vorliegenden Ergebnissen wahrscheinlich noch keine ausreichende empirische Basis für die Ableitung derartiger wichtiger Aussagen vorgegeben ist. Anscheinend erfolgen Prozesse der Klassenbildung in geringerer Abhängigkeit vom Kartenuntergrund.

Tab. 54.5 Ergebnisse Testserie E (Abkürzungen siehe Text)

Entsprechend dem Charakter der Einzelvorgänge im gesamten Interpretationsprozess spiegeln die Werte in Tabelle 54.5 einen zu erwartenden Sachverhalt der Wahrnehmungssicherheit wider: Da die Versuchspersonen bei der Selektion jedes einzelnen Zeichens Vergleiche mit den Zeichen derselben Zeichenklasse vornehmen mussten, spielen die Distanzen zwischen sämtlichen Zeichen einer Zeichenklasse eine große Rolle. Je näher die Zeichen zusammen angeordnet sind, desto günstigere Bedingungen sind für diese Vergleichsoperationen gegeben. In Tabelle 54.5 sind die Mittelwerte für eine Zeichenklasse, bei der die Zeichen näher zusammen liegen (Z. geh.), und für eine andere Zeichenklasse, bei der die Zeichen weiter auseinander liegen (Z. verteilt), gegenübergestellt worden (vgl. auch die Vorlagen E1 – E3 und die Werte in Tab. 54.6). Je näher die Zeichen zusammen angeordnet sind, desto günstigere Bedingungen sind für Vergleichsoperationen gegeben.
Bei den Werten handelt es sich um gemittelte Ergebnisse aus den Fragestellungen E1 – E3. Von den vier Größenabstufungen einer Zeichenklasse mussten die beiden mittleren Größen von den Versuchspersonen selektioniert werden. Die Mittelwerte (gef. Z.) der größeren Zeichen sind unter der (2.G) und die Werte der kleineren Zeichen unter (3.G) aufgeführt.

Tabelle 54.6 Gemittelte Werte aus Vorlagen E1 – E3 (Abkürzungen siehe Text)

Beim Vergleich der Gesamtergebnisse (Gesamt) ergibt sich bei den Werten der selektierten Zeichen (% gef. Z.), die gehäuft angeordnet sind (Z. geh.), ein bedeutend höherer Prozentsatz als bei den verteilt angeordneten Zeichen mit 84.9 zu 66.0 Prozent. Daraus wird ersichtlich, dass sich die Lagestruktur informationstragender Zeichen bei der Klassenbildung in Karten deutlich auswirkt. Es ist also davon auszugehen, dass näher zusammenliegende Zeichen einer Zeichenklasse unter den vorliegenden Bedingungen beim Selektionsprozess besser für Vergleichsoperationen herangezogen werden können. Näher zusammenliegende Zeichen einer Zeichenklasse eignen sich besser für Vergleichsoperationen eines Selektionsprozesses.
Aus den Werten der größeren Zeichen (2.G) bzw. kleineren Zeichen (3.G) ergeben sich widersprüchliche Tendenzen der Wahrnehmung. Aufgrund der Ergebnisse in Tabelle 3o muss anscheinend davon ausgegangen werden, dass bei der Wahrnehmung der auseinanderliegenden Zeichen die Größe der Zeichen eine andere Rolle spielt als bei den zusammenliegenden Zeichen. Bei der Wahrnehmung weiter auseinanderliegender Zeichen spielt die Größe der Zeichen eine andere Rolle als bei enger zusammenliegenden Zeichen.