5.4 Untersuchungsfragen und Untersuchungsergebnisse
Mit der vorliegenden empirischen Studie wird die Wirkung kartographischer Vorlagenmuster auf elementare Wahrnehmungsprozesse untersucht. | Untersucht wird die Wirkung kartographischer Vorlagenmuster auf elementare Wahrnehmungsprozesse. |
Untersuchungsvariablen sind die Komplexität von Vorlagenmuster sowie verschiedene graphische und geometrische Merkmale von Zeichen-Musterrelationen, die aufgrund der Vorgabe von Fragestellungen als visuelle Reizszenarien verarbeitet werden sollen. Als abhängige Variabel wird der o. g. Faktor Wahrnehmungsleistung, der aus Wahrnehmungssicherheit und Wahrnehmungsdauer gebildet wird, ermittelt. Er soll Aussagen über den Grad der Wirkung auf die untersuchten Wahrnehmungsprozesse ermöglichen. | Untersuchungsvariablen: – Komplexität von Vorlagenmustern, – Merkmale von umgebenden Zeichemustern, – Aufgaben, Verarbeitungsprozesse |
Im Rahmen von 6 Untersuchungen mit jeweils drei Stufen der Hintergrundkomplexität in Vorlagen werden folgende Problembereiche unterschieden: | Sechs Untersuchungsfragen mit drei Stufen Hintergrundkomplexität |
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Im Folgenden werden zunächst allgemeine Angaben zu den Ergebnissen der Untersuchungsserien gemacht. Danach werden als repräsentatives Beispiel zu den Fragestellungen A, B und E der theoretische und methodische Hintergrund und davon ausgehend die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen dargestellt (für die Fragestellungen und Ergebnisse C, D, F vgl. Bollmann 1981Bollmann, J. (1981): Aspekte kartographischer Zeichenwahrnehmung. Eine empirische Untersuchung. Bonn). | Es werden als Beispiele die Ergebnisse zu den Fragestellungen A, B und E dargestellt. |
5.4.1 Abhängigkeit der Wahrnehmungsleistungen vom Umgebungsreiz
Sämtliche Untersuchungsvorlagen wurden informationstheoretisch berechnet. Dazu wurden „repräsentative“ Ausschnitte jeder Vorlage ausgewählt und ihnen ein quadratisches Gitter zugeordnet. Die Ausschnitte besitzen ein Format von 4o x 4o Elementarzeichen. Die Größe der Elementarzeichen beträgt o.4 mm, das heißt, dass die Elemente des Quadratgitters in der Originalgröße der Kartenvorlage eine Weite von o.4 mm aufweisen. | Insgesamt wurden 18 Untersuchungsvorlagen informationstheoretisch berechnet. |
Die Komplexität der Vorlagen wurde vorab visuell ermittelt und erst nach ihrer technischen Fertigstellung berechnet (vgl. die Abbildungen für Vorlagen 1 bis 3 von A, B und E). Die Werte für die Superzeichen-Entropie zeigen, dass bei den Vorlagen 1, 2 und 3 keine gleichmäßige Zunahme der syntaktischen Zeichenkomplexität vorliegt. Die Schätzungen zwischen den Vorlagen 1 und 2 führten zu einer größeren Komplexitätsdifferenz als zwischen den Vorlagen 2 und 3. Im Nachhinein kann dieser Sachverhalt auch visuell durchaus bestätigt werden. | Bei den Vorlagen 1, 2 und 3 jeder Fragestellung besteht kein gleichmäßiger Anstieg der syntaktischen Zeichenkomplexität. |
Wie sich aus den Werten ablesen lässt, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Wahrnehmungsleistung (WL) und der Komplexität einer Kartenvorlage (vgl. Tab.54.1). Um dieses Phänomen der Komplexität von Karten noch deutlicher zeigen zu können, soll noch einmal zusammenfassend ausgeführt werden, welche Bedingungen der Wahrnehmung mit dem Vergleich der beiden Wertreihen in Tabelle 54.1 angesprochen sind: Wie aus den Kartenvorlagen der Untersuchung ersichtlich wird (vgl. die entsprechenden Abbildungen A, B, E), sind zwei unterschiedlich wirkende Reizgrößen in jeder Vorlage zu differenzieren: Zum einen die Figurationen (Kreise, Quadrate, Dreiecke etc.), die durch die verschiedenen Fragestellungen direkt angesprochen werden und als „informationstragende Zeichen“ von den Versuchspersonen selektiert werden müssen. Zum anderen die Muster, die als Kartenuntergrund oder -hintergrund fungieren, und die zwar durch die Fragestellung nicht angesprochen werden, aber als „Umgebungsreiz“ den Wahrnehmungsprozess beeinflussen. Da die lagemäßige Verteilung der informationstragenden Zeichen jeweils bei den drei Komplexitätsstufen annähernd gleich ist, ergibt sich eine vergleichbare Wahrnehmungssituation für die Lösung der Aufgabenstellungen. | Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Wahrnehmungsleistung (WL) und der Komplexität bei Kartenvorlagen. |
Aufgrund dieser Ausgangsbedingungen lassen sich Unterschiede in den Wahrnehmungsleistungen direkt auf die Reizsituation des Kartenhintergrundes und damit auf die Komplexität der Karten zurückführen. Ohne dass hier auf die differenzierten Aussagen der unterschiedlichen Werte eingegangen werden soll (vgl. dazu Bollmann 1981Bollmann, J. (1981): Aspekte kartographischer Zeichenwahrnehmung. Eine empirische Untersuchung. Bonn), kann eine hohe Übereinstimmung zwischen ansteigender Komplexität in Karten und abnehmenden Wahrnehmungsleistungen festgestellt werden (vgl. auch die differenzierten Ausführungen in den folgenden Kapiteln). | Es hat sich eine hohe Übereinstimmung zwischen ansteigender Kartenkomplexität und abnehmenden Wahrnehmungsleistungen ergeben. |
Es kann vorläufig festgehalten werden, dass in Karten mit vergleichbarem optischen Angebot anscheinend bei einem bestimmten Anstieg der Zeichenkomplexität des Kartenhintergrundes ein vergleichbarer Abfall der Wahrnehmungsleistungen zu erwarten ist. Präzisiert wird diese Aussage noch dadurch, dass sich dieser Zusammenhang nicht nur auf „einfache“ Interpretationsprozesse bezieht, sondern auch auf relativ komplizierte Wahrnehmungs- und Denkoperationen, wie sie z. B. bei Fragestellung E erforderlich sind. | Der Wirkungszusammenhang zwischen Komplexität und Wahrnehmungsleistungen hat sich bei „einfachen“ und „komplizierten Wahrnehmungs- und Denkoperationen, gleichermaßen gezeigt. |
5.4.2.1 Untersuchung A: Einzelfigurationen
Beim statistischen Vergleich der Ergebnisse (t-Test) wird das hohe Signifikanzniveau der Abweichungen besonders erkennbar. Diese Werte zeigen allerdings auch ein niedrigeres Signifikanzniveau bei den Abweichungen zwischen den Fragestellungen A2 und A3 als zwischen A1 und A2. Damit wird das entsprechende Verhältnis der Entropiewerte widergespiegelt, und zwar die größeren Unterschiede bei den A1- A2-Werten (7.17 – 8.1o bit) und die geringeren Unterschiede bei den A2- A3-Werten (8.1o – 8.36 bit). | Die Unterschiede der ermittelten WL entsprechen den größeren Unterschieden bei den A1- A2-Werten und den geringeren Unterschieden bei den A2- A3-Werten. |
Die Differenzen zwischen den Zeichentypen Z1, Z2 und Z3 sind jeweils für die Fragestellungen A1, A2 und A3 nicht sehr aussagekräftig, Dabei bedeuten: | |
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Lediglich beim Ausschnitt A3 ergibt sich eine der Erwartung entsprechende Abstufung der Mittelwerte (6.91, 6.7o, 6.2o). | |
Die verschiedenen Häufigkeiten der selektierten Zeichen in den Kartenvorlagen A1, A2 und A3 zeigen, dass die Lagebeziehungen zwischen den informationstragenden Zeichen und der jeweiligen Struktur des Kartenuntergrundes bei der Wahrnehmung eine große Rolle spielen. Deutlich wird dieser Sachverhalt z.B. beim Vergleich der Häufigkeiten in der Kartenvorlage A3. Die Häufigkeiten bei den Rechtecken schwanken zwischen 35 und 69, das heißt, ein Rechteck wurde nur 35-mal und ein anderes 69-mal selektiert (von 70 Möglichkeiten). | Die verschiedenen Lagebeziehungen zwischen den informationstragenden Zeichen und der jeweiligen Struktur des Kartenuntergrundes haben auf die Wahrnehmung einen großen Einfluss. |
Die Erklärung für diese Schwankungen werden nicht nur in der unterschiedlichen Detailkomplexität der jeweiligen Umgebungsreize zu suchen sein (vgl. dazu die Vorlagen), sondern z.B. auch in der lokalen Ausrichtung von Linienelementen, die parallel zur Zeichenrichtung verlaufen und damit die Ausprägung des Figur-Hintergrund-Reizes verringern. Diese Situation scheint sich beispielsweise bei den „auf die Spitze gestellten Quadraten“ in der Kartenvorlage A2 ausgewirkt zu haben. Die Zeichen, die besonders eng zu den parallel verlaufenden Straßen angeordnet sind, sind in der Tendenz weniger häufig selektiert worden; die Zeichen, die etwas weiter entfernt liegen, weisen dagegen größere Häufigkeiten auf. | So wirkt sich wahrscheinlich die lokale Ausrichtung von Linienelementen, die parallel zur Zeichenrichtung verlaufen, auf den Wahrnehmungsprozess aus. |
Im Folgenden werden als Beispiel zur Problematik der „Vorlagendarbietungen“ in empirischen Untersuchungen der Kartographie Registrierungsmethoden und einige zusammengefasste Reaktionen von Versuchspersonen vorgestellt: | Methode der „Vorlagendarbietungen“ und Reaktionen von Versuchspersonen: |
5.4.2.2 Untersuchung B: Figurationsmengen
Am deutlichsten zeigte sich diese Wirkung bei den Kombinationen 3Z3 und 3Z6 in der Vorlage B3. Zusätzlich zu der hohen Komplexität des Kartenuntergrundes wirkte sich noch die Anzahl von Zeichen pro Fläche erschwerend in dem Wahrnehmungsprozess aus, so dass dadurch die Versuchspersonen nur in 73% bzw. 74% der möglichen Fälle diese Zeichenkombinationen selektieren konnten. Die Werte liegen damit noch um l0% unter dem Durchschnittswert der „gefundenen Zeichen“ (B3 = 84.8 % gef.Z.). | Zusätzlich zu der hohen Komplexität des Kartenuntergrundes wirkte sich noch die Anzahl von Zeichen pro Fläche erschwerend in dem Wahrnehmungsprozess aus. |
Die ermittelten Häufigkeiten der selektierten Figurationen geben keine besonders deutlichen Hinweise über bestimmte lokale Reizwirkungen des Kartenuntergrundes. Lediglich bei einigen Figurationen, die relativ weit entfernt von der Mehrzahl der anderen Zeichen in der Fläche angeordnet sind, ergeben sich Abweichungen in den Häufigkeiten, wie z.B. in der Vorlage B3 bei der Kombination 5Z0 ein Zeichen mit der Häufigkeit 51 oder bei der Kombination 4Z0 ein Zeichen mit der Häufigkeit 58. Inwieweit sich aus diesen Befunden Verallgemeinerungen ableiten lassen, kann aufgrund des spezifischen Bedingungsrahmens der Fragestellung nicht mit Sicherheit gesagt werden. | Bei Figurationen, die relativ weit entfernt von der Mehrzahl der anderen Zeichen in der Fläche angeordnet sind, ergeben sich Abweichungen in den WL. |
5.4.2.3 Untersuchung E: Figurationsklassen
Beim Vergleich der Gesamtergebnisse (Gesamt) ergibt sich bei den Werten der selektierten Zeichen (% gef. Z.), die gehäuft angeordnet sind (Z. geh.), ein bedeutend höherer Prozentsatz als bei den verteilt angeordneten Zeichen mit 84.9 zu 66.0 Prozent. Daraus wird ersichtlich, dass sich die Lagestruktur informationstragender Zeichen bei der Klassenbildung in Karten deutlich auswirkt. Es ist also davon auszugehen, dass näher zusammenliegende Zeichen einer Zeichenklasse unter den vorliegenden Bedingungen beim Selektionsprozess besser für Vergleichsoperationen herangezogen werden können. | Näher zusammenliegende Zeichen einer Zeichenklasse eignen sich besser für Vergleichsoperationen eines Selektionsprozesses. |
Aus den Werten der größeren Zeichen (2.G) bzw. kleineren Zeichen (3.G) ergeben sich widersprüchliche Tendenzen der Wahrnehmung. Aufgrund der Ergebnisse in Tabelle 3o muss anscheinend davon ausgegangen werden, dass bei der Wahrnehmung der auseinanderliegenden Zeichen die Größe der Zeichen eine andere Rolle spielt als bei den zusammenliegenden Zeichen. | Bei der Wahrnehmung weiter auseinanderliegender Zeichen spielt die Größe der Zeichen eine andere Rolle als bei enger zusammenliegenden Zeichen. |