C 5. Elementare kartographische Informationsprozesse (Untersuchung U3)

5. Elementare kartographische Informationsprozesse                  (Untersuchung U3)

Wahrnehmungsaufträge in den Untersuchungen U1 und U2 führten bei den Versuchspersonen in ihrer Realisierung zu einer Verkettung von elementaren kartographischen Wahrnehmungsprozessen. Die spezifischen Eigenarten dieser Prozesse sowie die visuell-kognitiven Ansprüche und zu erreichenden Leistungen, die an sie gestellte weurden, waren  dabei nur begrenzt erkennbar und analysierbar. Mit den folgenden Untersuchung U3 wird nun versucht, zu diesen elementaren Vorgängen gezielt und abgegrenzte charakteristische Erkenntnisse zu gewinnen. Dies war das eigentliche Ziel des gesamten Forschungsvorhabens, nämlich einerseits übergeordnete Vorgänge der kartographischen Wahrnehmung unter den definierten Bedingungen der Modellformen zu untersuchen und andererseits spezifische Erkenntnisse über deren zusammenwirkenden Einzelvorgängen zu gewinnen.

Es stellte sich  allerdings heraus, dass sich dazu in theoretischer, methodischer und forschungspraktischer Hinsicht erhebliche Schwierigkeiten ergaben, die zu eine Reduzierung des vorab geplanten Vorhabens führten. Ein wichtiger Faktor bei der Gewinnung von kartographischen Informationen ist die Wirkung der differenzierten Reizsituationen im Kartenbild, also der Struktur einzelner Elementformen und Elementbeziehungen, die im Wahrnehmungsprozess visuell tangiert und identifiziert werden. Es ist allerdings nicht das Ziel dieser Arbeit, die Wirkungseigenschaften  einzelner Elemente der Modellformen zu messen und zu analysieren, da diese in  kaum zu definierenden Variationen in Abhängigkeit von der zufälligen Situation im zweidimensionalen Kartenbild abgebildet sind. Bei zwei Merkmalen von Modellkonstrukten lässt sich dabei aber ein deutlicher Wirkungs-Unterschied vermuten (vgl. Abb. 50.1). Dabei handelt es sich um Konstrukte mit diskreten und mit stetigen Zeichenübergängen. So kann vermutet werden, dass die Zuordnung von diskret abgegrenzten Klassen mit geringerem Aufwand erfolgt, als die Zuordnung bei stetigen Verläufen von Zeichenkonstrukten. Dieser Sachverhalt kann vor allem bei der Erfassung von begrenzten Szenen eine Rolle spielen, in denen im Wahrnehmungsprozess allein Klassen- oder Wertzuordnungen im Vordergrund stehen und für diese das Blickverhalten gemessen wird.

Abb.  5o.1 Modellformen mit unterschiedlichen Zeichenübergängen

 

Es wurden insgesamt sechs elementare Wahrnehmungsvorgänge untersucht. Diese Vorgänge sind als Abschnitte von Prozessen zu verstehen, die in den Untersuchungen U1 und U2 als zusammenhängende Fragestellungen formuliert und als Aufträge vorgegeben wurden. Neben der Anzahl, Richtigkeit und Positionierung von Elementen, werden auf der Basis von statistischen Einheiten „effektive“ und „effiziente“ Größen zu ermitteln versucht. Blickbewegungen bilden im Kartenbild differenzierte Muster, deren Ausrichtungen und Positionierungen darauf hinweisen können, dass die in einem Auftrag angesprochenen Elemente mit Hilfe der Sakkaden- und Fixationsausrichtung wirkungsvoll und im Ergebnis erfolgreich, also effektiv identifiziert worden sind. Größen, die unmittelbar den Prozess der Blickbewegungen betreffen, zeigen zusätzlich auf, ob vor allem mit Hilfe von Positionierung und Dauer der Fixationen  eine vorteilhafte und adäquate, also effiziente Vorgehensweise zur Gewinnung von Informationen geführt hat.

Die sechs Fragestellung in Form von Aufträgen der Untersuchung U3 wurden also unter dem Gesichtspunkt ihrer Effektivität und Effizienz durchgeführt, das heißt, wie die  verschiedenen grundlegenden Prozesse der Informationsverarbeitung im Rahmen der Modellformen zu bewerten sind:

 
Untersuchung U3

Experiment 1 –  3

  • Identifizierung von Wertkategorien
  • Identifizierung von Wertkategorien an vorgegebenen Positionen
  • Identifizierung von Wertrelationen an vorgegebenen Positionen

Experiment 4 –  6

  • Abgrenzung von Wertkategorien als Häufungszentren
  • Abgrenzung von Wertmustern
  • Identifizierung von Musterstrukturen

Sämtliche Experimente zu U3 sollten im Rahmen eines Untersuchungsdurchgangs, d.h. mit VPn derselben Stichprobe vorgenommen werden. Es musste vorher der Umfang der auszuführenden Experimente abgeschätzt und überprüft werden Es wurde danach entschieden, dass  einzelne Untersuchungen auf mehrere Stichproben zu verteilen sind.

Die Aufgabenstellung  der Experimente 1 – 4 und 5 – 8 sind jeweils identisch, wurden aber mit unterschiedlichen Modellformen durchgeführt. Jedes Experiment erfolgte mit 6 Versuchspersonen.
Statistische Angaben zu den Stichproben:

  • Durchschnittliche Untersuchungsdauer bei den Experimenten lag bei ca. 13 Minuten
  • Durchschnittliches Alter der Probanden lag bei 23 Jahren, die durchschnittliche Semesterzahl bei 6 Semestern.
  • 41 Probanden stammen aus Deutschland, 4 aus Luxemburg und 3 aus Polen
  • Geschlechterverteilung: m = 26, w = 22

 

Abb 50.2 Studiengänge; APG Angew. Physische Geographie, AUW Angew. Umweltwissenschaften, ABG Angew. Biogeographie
Die Registrierung von idenifizierten Wertkategorien mit frei wählbaren Positionen und zusätzlicher Regisstrierung der Richtigleit der identifizierten Wertkategoien im Rahmen einer Blickbewegungsmessung ist ein bisher nicht gelöstes methodisches Problem. Bei der Untersuchung „Identifizierung von Wertkategorien“ würde sich in einem Blickbewegungsprozess, bei dem von den Versuchspersonen zum Beispiel durch Mausklick die gefundenen Ergebnisse gekennzeichnet werden, verfälschende Ergebnisse ergeben.
Daher wurde der Identifizierungs- und Registrierungsvorgang  in zwei Phasen unterteilt:

  • im ersten Durchgang wurde eine „ursprüngliche“ Kartenvorlage präsentiert und die Blickbewegungsregistrierung durchgeführt; die VPn führten die visuelle Identifizierung entsprechend schriftlicher Vorgaben durch;
  • im zweiten Durchgang wurde dieselbe Kartenvoelage mit einem darüber gelegten Punktefeld präsentiert; die VPn identifizierten relevante Punkte mit Hilfe eines Cursors;

In dem Punktefeld sind entsprechend der Aufgabenstellung etwa zur Hälfte richtig zugeordnete Punkte enthalten.

Als Erweiterte Blickbewegungsanalyse wird für die einzelnen Modellformen folgende Größen ermittelt:

  • Wahrnehmungsleistungen (WL): Größe, die  sich aus dem Verhältnis von richtig identifizierten zu angebotenen relevanten Werten sowie benötigter Wahrnehmungszeit ergibt;
  • Mentaler Aufwand: Größe, die sich aus dem für eine Aufgabe benötigten Umfang an Fixationen und Sakkaden ergibt;

Außerdem wird ermittelt, ob zwischen den Ergebnissen der einzelnen VPn auch bei den falsch identifizierten Werten statistisch relevante Übereinstimmungen bestehen, um daraus ggf. bestimmte Wirkungseigenschaften der zugehörigen Graphik interpretieren zu können.

Der Versuchsaufbau wurde in einer Voruntersuchung mit dem beschriebenen Punktefeld durchgeführt. Dies hat jedoch bei den Versuchspersonen zu größeren Verwirrungen gesorgt, so dass in der Hauptuntersuchung auf das Punktefeld verzichtet wurde. Die Aufgabenstellungen wurde so umgestellt, dass jeweils sämtliche Maximal-/Minimal- und Mittelwerte zunächst visuell gesucht werden mussten und erst im zweiten Durchgang angeklickt wurden. Für die Identifizierung der Werte wurde eine Bearbeitungszeit von 30 Sekunden gewählt, diese hatte sich in der Voruntersuchung als geeignet herausgestellt.