4.2.3 Elementbildung der Ebene A 

4.2.3 Elementbildung der Ebene A 

Die Ebenen A umfasst, wenn im Modellausschnitt vorgesehen, formal die Grundrisse der thematischen Objektmodell und gegebenfalls weitere Elemente einer präsentierten Basiskarte. Diese Daten werden von den VPn visuell mit den geometrischen Positionen und inhaltlichen Ausprägungen der thematischen Elemente der Ebenen B  verknüpft. In dieser visuell-gedanklichen Funktion bildet die Ebenen A für die Versuchspersonen, soweit es in der Vorlage sichtbar ist, das visuelle Gerüst zur Ableitung und Vorstellung von wahrzunehmenden räumlichen Informationen. Datenelemente der Ebene A, die in der Ebene B vollständig oder zum Teil durch die präsentierten Konstrukte verdeckt sind, werden durch visuelle und gedankliche Vorstellungen ergänzt.
Für die visuelle Ergänzung von Kartenelementen spielen im Prozess der visuell-gedanklichen Verfolgung und Aufnahme von Linienelementen, wie sie in den Untersuchungsvorlagen als Abgrenzungen von statistischen Einheiten vorgegeben sind, mentale Vorprägungen und Gewöhnungseffekte eine Rolle. So bestehen allerdings auch grundsätzlich die Neigungen und Fähigkeiten, unterbrochene Abgrenzungen visuell-gedanklich zu verbinden oder in einer vorgegebenen Richtung visuell weiter zu verfolgen (vgl. A Kap. 3.4.2.2).
Zum anderen wird vorausgesetzt, dass Passagen der Ebene A durch weiterreichende gedankliche Vorstellungen vervollständigt und gespeichert werden. Realitätsnahe Vorstellungen zur Ebene A können vermutlich am deutlichsten durch das für die vorliegende Untersuchung explizit angegebene Thema „Parkplatzangebot pro Baublock“ vorgestellt werden. Für den untersuchten Kartenausschnitt sind dies graphisch reproduzierte Baublockgrenzen, die vermutlich, wenn sie nicht schon aus Erfahrungen verfügbar sind, zur Vorstellung von Abgrenzungen der Baublöcke als Straßen und den daran verteilten Parkplätzen führen.
Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die optisch angebotenen Konstruktionen der Ebene B, beispielsweise für Merk- und Vergleichsvorgänge visuell-gedanklich separat verarbeitet werden und damit die gedanklichen Transformationen nur eine geringe Rolle spielen. Neben diesem Bezug werden konkrete Hinweise, wie der Kartentitel und die Legende sowie allgemeine Beschreibungen und Erläuterungen zum entsprechend Realitätsbereich, die Bildung von entsprechenden Vorstellungen unterstützen.

4.2.4 Musterbildung auf der Ebene B

Die optisch angebotenen Konstrukte der Ebenen B sollen die inhaltliche und räumliche Ausprägung eines Kartenthemas in optimaler Form vermitteln. Die sich daraus ergebene gedankliche Ableitung von Informationen ist unmittelbar auf die Konstrukte selbst sowie die zugrundeliegenden geometrischen und substanziellen Merkmale der Ebenen A ausgerichtet. Die Merkmale werden, wie schon ausgeführt, vermutlich im Rahmen von atentativen bzw. probierenden Prozessen in Form von visuell-gedanklichen Transformationen abgeleitet und der Ebene B zugeordnet.
Der Wahrnehmungsprozess und damit der Verlauf von Blickbewegungen wird durch verschiedene visuelle und gedankliche Faktoren beeinflusst. Als Grundannahme des Analysemodells wird vorausgesetzt, dass mit den sieben untersuchten Modellformen visuelle Szenarien angeboten werden, die in unterschiedlicher Form die Ableitung von Informationen und Wissen im Sinne der realitätsnahen Elementstruktur der Ebenen A unterstützen oder behindern. Ziel des Analysekonzepts ist es daher, aufgrund der registrierten Daten der Ebene C dahingehend zu analysieren, wie bestimmte Wirkungsbereiche von Konstrukten der Ebenen B durch Sakkadenverläufe und Fixationsstrukturen erreicht wurden und spezifisch gedanklich transformiert sein könnten.
Die optisch präsentierten geometrischen und inhaltlichen Merkmale der sieben Modellformen unterscheiden sich visuell gegenüber den Datenelementen und den der Realität angenäherten Elementen der Ebene A in unterschiedlicher Form und unterschiedlichem Umfang (vgl. Abb. 42.3). Zum Beispiel durch die Größe konstruierter Zeichen, wie bei der Modellform Flächendiagramme, bei denen die Randbereiche der Bezugsflächen der Diagramme durch Konstruktionen des Nachbarzeichens zum Teil abgedeckt sind (Größenüberdeckung). Zum anderen durch die konstruktive Ausbreitung einzelner Kartenelemente, die durch Interpolation aus dem gesamten Feld der Daten eines Kartenausschnitts als „thematische Oberfläche“ berechnet werden. Als Folge entstehen graphisch konstruierte Formen, die zum Beispiel bei der Modellform Gestufte Gittersignaturen sowohl in ihrer Lage zum Zentrum der einzelnen Kartenelemente nicht kongruent sind als auch in ihren geometrischen Ausprägungen nur noch einen geringen lagemäßigen Bezug aufweisen (Positionsverzerrung).

Abb. 42.3 Beispiele für Verfremdungseffekte

Weiterhin kann die Funktion von Modellformen durch Linien oder Flächenbegrenzungen eingeschränkt sein, die zum Beispiel bei der Modellform Isarithmen nur einen geringen Bezug zur Geometrie der repräsentierten Daten bzw. des Karteninhalts aufweisen („Geometrieüberdeckung“). Und schließlich Konstruktionen, die unabhängig oder zusätzlich von den genannten Grenzlinien oder Flächenbegrenzungen inhaltliche Merkmale abgestufter Farbflächen aufweisen, die, wie bei der Modellform Stetige Niveauflächen, eine von der Datengeometrie abstrahierende Verbreitungsgeometrie aufzeigen (Flächenüberdeckung).
Insgesamt wird also angenommen, dass vorgegebene Aufträge zur Informationsbildung, wie etwa die Identifizierung der Ausdehnung von „Zentren“ oder die Abgrenzung von „Verebnungen“, bei bestimmten Konstrukten der Ebene B nicht unmittelbar erfüllt werden können. Verbunden sind diese visuellen Störungen mit einem erhöhten visuellen und kognitiven Aufwand für erforderliche Transformationen, mit deren Hilfe diese Störungen auszugleichen sind.

4.2.5 Aufträge der Ebene C

Der Wahrnehmungsvorgang und damit der Verlauf von Blickbewegungen wird durch verschiedene visuelle Vorgaben und gedankliche Aufträge beeinflusst. Als Grundannahme des Analysemodells wird vorausgesetzt, dass mit den sieben untersuchten Modellformen visuelle Szenarien angeboten werden, die in unterschiedlicher Form die Ableitung von Informationen und Wissen im Sinn der realitätsnahen Elementstruktur der Ebenen A unterstützen oder behindern. Ziel des Analysekonzepts ist es daher, aufgrund der registrierten Daten der Ebene C zu analysieren, wie bestimmte Wirkungsbereiche von Konstrukten der Ebenen B durch Sakkadenverläufe und Fixationsstrukturen erreicht werden und spezifisch gedanklich transformiert sein müssten.
Blickbewegungen erfolgen zum einen aufgrund von sich  im Blickfeld explizit anbietenden oder zum anderen sich im Blickverlauf zufällig ergebenen optischen Reizsituationen. Bei dem ersten Prozessverlauf wird vermutlich das graphische Angebot und der repräsentierte Inhalt in Form einer feststehenden Vorstellung abgeleitet. Im zweiten Fall wird dieser Prozess eventuell durch einen sich individuell ergebenen oder durch einen von außen den Auftrag beeinflussenden Hinweis verändert oder gesteuert. So ist zu vermuten, dass dadurch ein verstärkter Antrieb besteht, die von den angebotenen Konstrukten ausgehenden Störungen durch visuell-gedankliche Transformationen auszugleichen. Das heißt also, es geht um den Versuch, die angebotenen und störenden Eigenschaften von Konstruktbereichen oder -abschnitten den gedanklich verfügbaren Vorstellungen der Ebene A anzunähern. Diese eher theoretische Unterscheidung ergibt im konkreten Wahrnehmungsverlauf sicherlich eine Vermischung beider Faktoren, sie werden aber unabhängig davon zu sich deutlich unterscheidenden Blickverläufen und damit entsprechenden Ergebnissen der Ebenen C des Analysekonzepts führen. Aufgrund dieser im Trierer Forschungsumfeld sich mehrfach gezeigten Phänomenen (z.B. Bollmann et al. 1999) wird dieser theoretische Ansatz bei den vorliegenden Untersuchungen U2 und U3 berücksichtigt.
Eine Blickverlaufsstruktur bei kartographischen Vorlagen unterscheidet sich bei Bildern oder Graphiken darin, dass sich der Blick vor allem an der Grundrissgeometrie von Konstrukten oder vorgestellten Datenelementen orientiert und diese, um georäumliche Informationen abzuleiten, in geometrische und topologische Relationen stellt. Bei diesen Voraussetzungen ergeben sich vermutlich feine Netzstrukturen von Blickverläufen, die mit den bisher vorliegenden Auswertungsmethoden nicht ausreichend erfasst werden können. So bestehen erfasste und analysierte traditionelle Fixations- und Sakkadenstrukturen u.a. aus Blickdichteverteilungen, der Anzahl und Dauer von Fixationen sowie der Anzahl und Länge von Sakkaden (vgl. Kap. C 3.3 und Abbildung C 32.2). Dazu werden „Clusterstrukturen“ als Faktor der Gruppierung von Informationen berechnet und sogenannte Interessengebiete (AOIs)  als Merkmal von isolierten Fixationshäufungen  abgegrenzt.
Faktoren der Blickbewegungsanalyse, die mit dem Analysekonzept ermöglicht werden sollen, betreffen vor allem gekennzeichnete Bereich von Konstruktionsflächen, für die spezifische Transformationsvorgänge zu erwarten sind. Die Kennzeichnung der Bereiche ergibt sich aus den Konstruktionsalgorithmen der einzelnen Modellformen bzw. abgeleiteten Karten. Für die Analyse dieser Bereiche ist zum Beispiel die Erfassungen von Positionen von Fixationen mit Unterscheidung nach Anzahl und Dauer pro Standort bzw. Bereiche von Konstrukten sinnvoll. Der Hintergrund dieser Blickbewegungsstruktur ergibt sich aus der Vermutung, dass der Prozess einer visuell-gedanklichen Transformation eine uneinheitliche Fixationsdauer und Fixationsmenge erwarten lässt, was dem schon genannten Ansatz „im Rahmen von Erinnerungen bzw. probierenden visuell-gedanklichen Prozessen“ bei Transformationen entsprechen könnte. Weiterhin ergeben sich  Werte zur Vernetzung von Sakkaden, wie etwa Sakkadenverläufe zwischen ausgewählten Konstruktionsbereichen mit Anzeige der Richtung und der Folge von Sakkaden. Dieses sind Beispiele für die Struktur von Blickbewegungsanalysen, die nur mit Hilfe von automatischen Erfassungs- und Analyseverfahren durchzuführen sind, wobei, unabhängig von der vorliegenden Aufgabe, diesen sicherlich auch für andere Bereiche und Fragestellungen in Bereichen wie Graphik- und Bildanalysen ein Stellenwert zukommen könnte.